Ausnahmeverordnung für Bürgerbusse von der Fahrerlaubnisverordnung
In einem Schreiben vom Januar 2016 wendet sich der Präsident des Landesverbandes proBürgerBus Baden-Württemberg e. V., MdL Sascha Binder, in Sachen "Verbesserung der Situation der Bürgerbusse - Ausnahmeverordnung für Bürgerbusse von der Fahrerlaubsniverordnung" an Verkehrsminister Winfried Hermann. In dem Schreiben heißt es wörtlich:
Sehr geehrter Herr Minister Hermann,
auch dank Ihrer Unterstützung nehmen die Bürgerbusbetriebe in Baden-Württemberg rasant zu. Der Landesverband konnte allein im vergangenen Jahr 5 neue Mitglieder aufnehmen und viele weitere Projekte auf den Weg bringen bzw. auf ihrem Weg begleiten. Dies ist auch ein Verdienst der neuen Förderrichtlinien und der Unterstützung Ihres Hauses für diese Verkehrsart.
In diesem Zusammenhang wäre zunächst das ÖPNV-Modell „Bürgerbusse" zu definieren. Anlässlich eines ersten Treffens der Bürgerbuslandesverbände haben wir den Bürgerbus wie folgt definiert:
„ehrenamtlich durchgeführter öffentlicher Personennahverkehr nach § 42 Personenbeförderungsgesetz – PBefG"
In Baden-Württemberg gehen die Landesdefinitionen noch weiter, indem Sie u.a. noch die Platzzahlen (8 Fahrgäste) und in Baden-Württemberg die Barrierefreiheit einfordern. In den anderen Bundesländern wird gemeinhin zusätzlich von Kleinbussen gesprochen, die aufgrund der personenbeförderungsrechtlichen Vorschriften als PKW (bis 3,5 to. zulässiges Gesamtgewicht mit maximal 8 Fahrgastplätzen) limitiert sind.
Nach wie vor ist Nordrhein-Westfalen mit Abstand der Vorreiter in der deutschlandweiten Bürgerbus-Szene. Mit derzeit 123 Bürgerbus-Projekten haben die Bürgerbusse einen festen Stellenplatz im öffentlichen Personennahverkehr eingenommen.
Neben den ebenfalls bereits landesverbandlich organisierten Bürgerbussen in Niedersachen gibt es in anderen Bundesländern weitere noch nicht organisierte Projekte. Insgesamt gehen wir derzeit von bundesweit rund 250 „großen" Bürgerbussen aus. Daneben gibt es zahlenmäßig nicht erfasste niederschwelligere Angebote auf der Basis kleinerer Fahrzeuge und ohne personenbeförderungsrechtliche Anforderungen.
Die sich für die sogenannten großen Bürgerbusse seit längerem abzeichnende Entwicklung des Fahrzeuggewichtes an die Grenze von 3,5 Tonnen bereitet zunehmend Sorgen und kann den Betrieb von Bürgerbussen in Zukunft grundsätzlich gefährden. Im Namen der Bürgerbusvereine in Baden-Württemberg bitte ich Sie daher, sich im Rahmen der Verkehrsministerkonferenz für eine ergänzende Regelung einzusetzen, um Bürgerbusfahrzeuge bis zu einer Gesamtmasse bis zu 4,25 Tonnen einsetzen zu können.
Da Bürgerbusse ausschließlich von ehrenamtlich tätigen Fahrerinnen und Fahrern betrieben werden, die lediglich über den Führerschein Klasse B verfügen, beschränkt sich die Fahrerlaubnis auf Fahrzeuge mit einem zulässigen Gesamtgewicht von bis zu 3,5 Tonnen. Dies gilt auch für Besitzer einer umgeschriebenen alten Fahrerlaubnis der ehemaligen Klasse 3, da die Schlüsselzahl 171 in der neuen Fahrerlaubnis die Beförderung von Fahrgästen in Fahrzeugen mit einer Gewichtszulassung zwischen 3,5 und 7,5 Tonnen ausschließt.
Die Problematik um die Gewichtsgrenze von 3,5 Tonnen ergibt sich vor allem aus den Gründen der Sicherheit, der Barrierefreiheit und des Umweltschutzes.
Bürgerbusse dienen der öffentlichen Personenbeförderung, übernehmen demnach eine Aufgabe mit hoher Verantwortung. Dementsprechend hohe Anforderungen werden auch an die Fahrzeuge und deren Ausstattung gestellt. Schon die allgemeine technische Entwicklung bei den Basisfahrzeugen tendiert zu immer höheren Gewichten, da der Ausstattungsstandard stetig steigt. Aber auch durch die Anforderungen, die sich allein aus den rechtlichen Vorgaben und aus den Förderbedingungen für Bürgerbusse ergeben, resultiert ein höheres Ausgangsgewicht gegenüber den Basisfahrzeugen. Dazu gehören die fremdkraftbediente Einstiegstür, zusätzliche Eintrittsstufen sowie Halteeinrichtungen im Innenbereich.
Wesentlich stärker wirken sich allerdings die Umbauten und Einrichtungen aus, die der Barrierefreiheit der Fahrzeuge dienen. Glücklicherweise gehen immer mehr Bürgerbusvereine dazu über, Fahrzeuge einzusetzen, die auch zur Beförderung von schwerbehinderten Personen in Rollstühlen geeignet sind. Dazu sind aber entweder Hebevorrichtungen erforderlich oder der Umbau mit einem Niederflurteil. Weiter muss mehr Raum zur Verfügung stehen, das Basisfahrzeug also größer sein, und, bei Fahrzeugen mit Niederflureinstieg essentiell, eine breitere Einstiegstür haben. All dies ist ohne zusätzlich eingebautes Material, das sich im Gesamtgewicht niederschlägt, nicht realisierbar.
Weitere Gewichtszunahmen ergeben sich durch die stetig steigenden Anforderungen an den Umweltschutz. So zum Beispiel durch die kürzlich eingeführte Euro-6-Abgasnorm, die neben höheren Kosten auch das Gewicht der Fahrzeuge anhebt und die nicht umgangen werden kann. Werden Hybridantriebe eingesetzt, erhöht sich das Gewicht weiter. Gravierend wird sich das Gewicht allerdings erhöhen, wenn Elektroantriebe eingesetzt werden können. Vor allem ist dies durch die dann erforderlichen Batterien zu erwarten, die für die hohe tägliche Laufleistung vorgehalten werden müssen. Nach unserem Informationsstand sind solche Fahrzeuge für den Bürgerbusbetrieb noch nicht ausgereift und mit der erforderlichen Kapazität zu finanzierbaren Preisen auf dem Markt. Dies ist allerdings eine Frage der Zeit und der Einsatz dieser Technik sollte dann nicht an dem zulässigen Gesamtgewicht scheitern müssen.
Weiterhin gibt es in gebirgigen Gegenden wie z.B. den Schwarzwald bereits heute das Erfordernis im Hinblick auf die auch im Winter zu gewährleistenden Verkehre Allradantrieb zu verbauen. Dieses kann derzeit nur unter deutlicher Verringerung der Beförderungsqualitäten oder Zuladung erreicht werden.
Auch heute schon sind bestimmte Fahrzeugtypen nicht in der gewünschten Ausstattung als Bürgerbus auszurüsten, wenn das zulässige Gesamtgewicht von 3,5 Tonnen eingehalten werden soll. Alternativ besteht bisher zwar noch die Möglichkeit, Basisfahrzeuge mit einem geringeren Ausgangsgewicht zu wählen, oder beim Umbau leichtere Materialien zu verwenden. Dass darunter allerdings die Zuverlässigkeit und Haltbarkeit der Fahrzeuge leidet und auch die Kosten steigen, ist leicht einzusehen. Zurzeit gehen wir aber noch davon aus, dass auch bei solchen Lösungen der Aspekt der Sicherheit nicht vernachlässigt wird. Der Möglichkeit, das Fahrzeug einfacher auszustatten oder abzulasten, sind aber Grenzen gesetzt. Und die Fahrgastplätze zu reduzieren, um die Gewichtsgrenze nicht zu überschreiten, ist sicherlich keine praktikable Lösung. Die bestehende Kapazitätsgrenze von acht Fahrgästen sollte auf keinen Fall weiter eingeschränkt werden, da bereits heute zahlreiche Fahrten voll besetzt sind.
Mit der vierten Verordnung über Ausnahmen von den Vorschriften der Fahrerlaubnis-Verordnung vom 22. Dezember 2014 (BGBl. I S. 2432) hat der Bundesverkehrsminister ausnahmsweise ermöglicht, mit dem Führerschein Klasse B auch elektrisch betriebene Transporter bis zu 4,25 t zu fahren. Um die oben geschilderten Einschränkungen für die Bürgerbusse im Sinne einer notwendigen und sachgerechten Entwicklung dieses Verkehrsmittels abzubauen, wäre durch eine ähnliche Ausnahmeregelung zur Fahrerlaubnisverordnung auch eine Erweiterung für Bürgerbusse bis zu einer Gesamtmasse von 4,25 t erforderlich. Gegebenenfalls können auch Regelungen über eine Schlüsselzahl zur Eintragung in die Fahrerlaubnis der Klasse B hilfreich sein oder über eine entsprechende Eintragung in die Fahrerlaubnisse nach § 48 FeV mit der Einschränkung "nur für Fahrten mit Bürgerbussen".
Da Bürgerbusse sich nicht nur in Baden-Württemberg inzwischen als fester Bestandteil des ÖPNV-Angebotes etabliert haben, wäre eine bundesweit einheitliche Regelung wünschenswert. Ggf. müsste die o.g. Definition dafür modifiziert werden. Wir bitten Sie daher, unser Anliegen in der nächsten Verkehrsministerkonferenz einzubringen. Eine entsprechende Initiative ist mit den Dachverbänden „Pro Bürgerbus Niedersachsen" und „Pro Bürgerbus Nordrhein-Westfalen" sowie den Initiativen und Interessenvertretungen aus Schleswig-Holstein und Brandenburg abgestimmt. Hilfsweise bitte ich Sie zu prüfen, ob eine landesrechtliche Ausnahmeregelung möglich ist.
Unser Verband hat sich im Januar 2015 bereits an Herrn Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt gewandt mit der Bitte, sich um eine Ausnahmeregelung zu bemühen, Das Schreiben sowie die Antwort aus seinem Hause ist diesem Schreiben als Anlage beigefügt. Vom dort zusätzlich erwähnten Anliegen, eine Beförderung von mehr als acht Personen im Bürgerbus zuzulassen, sind wir nach den letztjährigen Konsultationen mit den anderen Landesverbänden vorläufig abgerückt. Das Erfordernis, die Gewichtsbeschränkung für Bürgerbusse auf 4,25 Tonnen anzuheben, ergibt sich aber bereits allein jetzt schon für Bürgerbusse mit herkömmlichem Antrieb und nicht erst für Elektro-Fahrzeuge. Dem Schreiben aus dem Bundesverkehrsministerium ist allerdings zu entnehmen, dass eine fahrerlaubnisrechtliche Ausnahmeverordnung grundsätzlich möglich ist, dies allerdings ein bundesweites Interesse voraussetzt.
Dadurch, dass sich die Verbände und Interessenvertretungen der Bürgerbusvereine aus mehreren Bundesländern für eine solche Ausnahmeregelung einsetzen, wird unseres Erachtens das bundesweite Interesse deutlich dokumentiert. Darüber hinaus ist zu erwarten, dass ein Beibehalten der bisherigen Gewichtsgrenze nicht nur die bestehenden Bürgerbus-Projekte gefährden wird, sondern auch die Verbreitung der Bürgerbusse in den Bundesländern verhindert, in denen Bürgerbusse bisher nur wenig verbreitet sind. Somit steht die Gewichtsgrenze dem auch vom Bundesverkehrsminister erkannten wichtigen Beitrag der Bürgerbusse zur Sicherung der Mobilität im ländlichen Raum entgegen.
Zwischenzeitlich ist uns bekannt geworden, dass der Bundesverkehrsminister auf der Basis einer Empfehlung des Bund-Länder-Fachausschusses Fahrerlaubnisrecht/Fahrlehrerrecht mit Schreiben vom 16.11.2015 bei der Europäischen Kommission die Ausweitung der Anwendung der 4. Ausnahmeverordnung zur Fahrerlaubnisverordnung auf Bürgerbusse mit Elektroantrieb beantragt hat, indem die Beschränkung für den Güterverkehr gestrichen wird. Dies ist natürlich grundsätzlich zu begrüßen, greift allerdings unserer Auffassung aufgrund der vorbeschriebenen Rahmenbedingung zu kurz. Die anstehenden Probleme der Bürgerbusse können damit in nächster Zeit nur zu einem kleinen Teil gelöst werden.
Für weitere Erläuterungen oder einem persönlichen Gespräch stehen wir im Sinne der bisherigen vertrauensvollen und erfolgreichen Zusammenarbeit gerne zur Verfügung.
Mit freundlichen Grüßen
Sascha Binder
Präsident
Anlage: Antwort des Bundesverkehrsministerium aus dem Jahr 2015 auf ein entsprechendes Schreiben des Landesverbandes proBürgerBus:
Sehr geehrter Herr Binder,
vielen Dank für Ihr an Herrn Bundesminister Dobrindt gerichtetes Schreiben, in dem Sie um eine Ausweitung der bisher nur für elektrisch betriebene Kraftfahrerzeuge bis 3,5 t im gewerblichen Güterverkehr geltenden Ausnahmeregelung und eine Erhöhung der zulässigen Anzahl der Sitzplätze für Inhaber einer Fahrerlaubnis der Klasse B bitten. Er hat mit gebeten, Ihnen zu antworten.
Auch nach Einschätzung des Bundesverkehrsministeriums leisten die von engagierten Bürgerinnen und Bürgern betriebenen Bürgerbusse einen wichtigen Beitrag zur Sicherung der Mobilität im ländlichen Raum. Der von Ihnen erbetene Abbau rechtlicher Grenzen stößt jedoch gerade im Bereichg des Fahrerlaubnisrechts an durch eine europäische Richtlinie gesetzte Grenzen.
Nach der Richtlinie 2006/126/EG, der sog. 3. EU-Führerscheinrichtlinie, dürfen mit einer Fahrerlaubnis der Klasse B (Pkw) nur Kraftwagen mit einer zulässigen Gesamtmasse von höchstens 3,5 t, die zur Beförderung von nichgt mehr als acht Personen außer dem Fahrzeugführer ausgelegt und gebaut sind, geführt werden. Die von Ihnen angestrebte Ausweitung auf 14 Fahrgastplätze würde den Besitz einer Fahrerlaubnis der Klasse D1 (Bus) und, für den Fall, dass die Fahrzeuge länger als 8 m sind, sogar den Besitz einer Fahrerlaubnis der Klasse D erfordern. Ein weiterer Anstieg der Kosten infolge der regelmäßig notwendig werdenden Verlängerung dieser Fahrerlaubnisklasse mit Nachweis der erforderlichen Eignung wäre die Folge.
Die Förderung elektrisch betriebener Fahrzeuge wird vorrangig durch das am 27. März 2015 vom Bundesrat in 2. Lesung beschlossene Gesetz zur Bevorrechtigung der von elektrisch betriebenen Fahrzeugen (EmoG) verfolgt. Damit werden Ermächtigungsgrundlagen geschaffen, die u. a. eine Parkbevorrechtigung und Parkgebührenbefreiung für elektrisch betriebene Fahrzeuge im öffentlichen Verkehrsraum sowie die dafür erforderliche Kennzeichnung der Fahrzeuge zur Förderung der Elektromobilität ermöglichen. Das Gesetz ist auch für elektrisch betriebene Fahrzeuge der Klasse N2, also Fahrzeuge bis 7,5 t eröffnet, soweit sie im Inland mit der Fahrerlaubnis der Klasse B und somit im Rahmen der von Ihnen erwähnten Ausnahmeverordnung geführt werden dürfen. Damit fallen auch Bürgerbusse in der von Ihnen beschriebenen Form unter die Bevorrechtigungen.
Eine Ausweitung der fahrerlaubnisrechtlichen Ausnahmeverordnung ist grundsätzlich möglich. Sie bedarf jedoch nach Artikel 3 Nummer 5 der 3. EU-Führerscheinrichtlinie der vorherigen Zustimmung der EU-Kommission. Ich bitte jedoch um Verständnis dafür, dass die Beantragung bundesweites Interesse und bundesweiten Nutzen voraussetzt. Allein die Wahrung der berechtigten und nachvollziehbaren Interesse des Vereins proBürgerBus Baden-Württemberg vermögen diese Voraussetzungen nicht zu erfüllen. Sollte ein entsprechender Nachweis geführt werden, stehe ich Ihrem Wunsch aufgeschlossen gegenüber.
Renate Bartelt-Lehrfeld
Bonn, 30.04.2ß015, Aktenzeichen LA 21/7321.6/00